Journal de Voyage

Zu Besuch bei den Franzosen: Meine Radtour durch Elsass und Jura

1. Tag Verden - Kehl


Weistannenturm
Weistannenturm


Ich verließ das Haus um 5.30 Uhr, versteckte den Schlüssel und radelte zum Bahnhof.

In Bremen auf dem Gleis trank ich den ersten Kaffee und dann ging es mit IC über die Rheinstrecke nach Mainz.

Ich unterhielt mich fast die ganze Fahrt mit einem jungen Mann, einem Spiele-Programmierer . Er hat einen Fisch-Schwarm im Detail programmiert. Er lebt in Hamburg – Billstedt in einer WG mit wenig Geld. Jetzt geht er auf Radtour von Baden-Baden nach Marseille.

Sein Tip für Hamburg: jeden letzten Freitag des Monats als „Critical Mass“ mit 5000 Radlern durch die Stadt fahren und im Anschluss Party.

Schrecklich war dann das letzte Stück der Reise: In Karlsruhe umsteigen, Aufzug defekt, keine Rolltreppe, Regionalzug überfüllt, anderthalb Stunden gestanden und das Rad festgehalten.

Kehl war dann wieder schön. Die JH liegt am Rhein , neben dem BUGA-Park. Abends bin ich auf den „Weißtannenturm“ gestiegen, dort hatte ich einen weiten Blick über die Rheinebene, den Schwarzwald und die Vogesen, und die Sonne ging hinter dem Turm des Straßburger Münsters unter.



2. Tag Kehl - Duntzenheim


Kehls BUGA-Park ist durch eine Fußgänger- und Radfahrerbrücke mit Straßburg verbunden. Sie hat zwei geschwungene Bahnen und eine Aufenthalts-Plattform in der Mitte. So gelangte ich über die Grenze,

Straßburg im August, ich erkundete es geruhsam mit dem Fahrrad: das Münster, die Altstadt, das Geschäftsviertel und fuhr entlang der Ill und der Kanäle zum Europa-Parlament.

Dahinter beginnt der Radweg Richtung Saverne entlang des Marne-au-Rhin – Kanal. Er wird nur noch von Freizeitschiffen genutzt, das Wasser ist sauber und leuchtet in der Sonne hellgrün.

Ein richtiger Hochsommertag, wolkenlos, 34 Grad. In Souffelweyersheim bin ich abgebogen und in einen See gesprungen. Am Kanal traf ich ein Paar, die an ihrem alten Hausboot arbeiteten. Ein alternatives Leben auf dem Kanal, und mit dem Fahrrad zur Arbeit nach Straßburg. Sie gaben mir frisches Wasser.

Die letzten sechs Kilometer zu meinen unbekannten Gastgebern von Ciclo acceuil über zwei veritable Hügel waren dann fast zu viel.

Schweißüberströmt kam ich an und wurde so herzlich empfangen, dass ich mich gleich zuhause fühlte. Es war herrlich, erst eine kühle Dusche und dann Abendessen auf der Terrasse. Unter einem goldenen Himmel ein französisches Dinner: Vorspeisen, ein riesiger Salat mit Allem: Salat und Zuccini aus dem „Potager“, Thunfisch, Eier, Couscous, dann eine Kartoffel-Zuccini-Pfanne mit Feta, zum Dessert eine süße Creme mit Beeren aus dem Garten und Zitroneneis.

Dabei haben wir erzählt, auf Französisch, M. spricht auch Deutsch und kann aushelfen, so ist wunderbarerweise mein Schulfranzösisch wieder an die Oberfläche des Gedächtnisses gestiegen. Sie haben von ihren Wanderferien in Savoyen erzählt und von ihrer „Grand Tour“ mit dem Rad nach China. Auch von der Zeit, als sie ihr Haus aufgebaut haben, während die Kinder noch klein waren. Damals haben sie mit eigenen Händen und wenig Geld das alte Anwesen ausgebaut, auf der Baustelle gelebt, bei der Arbeit das Kleinste immer auf dem Rücken.

D. spricht wenig, aber was er sagt über sein Leben, trifft immer den Punkt.

Eine schöne Nacht im Zelt unter den Sternbildern des Sommers.



3. Tag Duntzenheim - Obernai


Teich mit heilkräftigem Wasser
Teich mit heilkräftigem Wasser

Der Untertitel dieses Tages lautet: schlechte Strecke und Regen.

Oder: Fremd und allein

Was war trotzdem schön: die Rast auf der Bank unter den Tannen (Scharrachbergheim), die sehr alte Dame, die mit mir ging, um mir den Lebensmittelladen zu zeigen (Molsheim), das altmodische kleine Karussell auf dem Marktplatz, die „Ferme“, wo ich Obst kaufte und mit dem Ehepaar über Europa diskutierte (Rosheim). Die Rede kam aufs Fahrrad: er fühlt sich mit 75 noch zu jung für ein E-Bike.

Bis Obernai stieg der Weg. Am Anfang der Stadt, wo die letzten Weingärten auf die ersten Häuser treffen, ist eine Art Balkon. Dort blickt man über die Ebene bis zum Schwarzwald und im Süden sieht man den Kaiserstuhl.

Die Ebene mit ihren Baumreihen, Feldern und kleinen weißen Türmen lag schon im Schatten des heranziehenden Gewitters, während die Berghänge auf der anderen Rheinseite noch von der Abendsonne angestrahlt wurden. Alles ergab den Eindruck eines „Weltbildes“ von einem niederländischen Maler.

Abends auf dem Campingplatz luden mich meine Nachbarn, ein Ehepaar aus Deutschland, zum Wein ein. Der Mann, ca 40 Jahre, hielt zu jedem Thema einen eloquenten, stock-neoliberalen Vortrag. (Thema z.B.: Der Krieg ist der Vater aller Dinge) Dabei spricht er ordentlich den Weinflaschen zu. Seine Frau schweigt dazu und trinkt. Das ist ihr erster gemeinsamer Urlaub seit 20 Jahren.



4. Tag Obernai - Scherwiller


Schon am frühen Morgen wurde es richtig warm. Es wird so heiß, dass die Rastplätze das Beste am Radfahren sind. Der erste ist ein Mäuerchen unter einer Flüsterpappel an der Weinbergstraße bei Goxwiller. Wie herrlich sind Schatten und Wind bei richtiger Sommerhitze! Ein paar Dörfer weiter, bei Itterschwiller gab es einen kleinen Bach. An einer verborgenen Stelle, hinter einem gestürzten Walnußbaum, habe ich mich ausgezogen und ins klare, kalte Wasser gelegt. Dann habe ich Siesta gehalten, und erst am späten Nachmittag bin ich weitergefahren bis in das süße Städtchen Scherwiller, wo ich auf einem kleinen privaten Campingplatz übernachtet habe.



5. Tag Scherwiller - Colmar


Wieder ein heißer Tag (34 Grad). Darum bin ich schon bei Tagesanbruch losgefahren, ganz locker 32 km bis Colmar.

An einem schönen Fluss bei Guemar, der Fecht, habe ich gepflegt gefrühstückt und DNA (Derniere Nouvelle d´Alsace) gelesen. Gegen 12 Uhr war ich auf dem Campingplatz in Horbourg an der Ill. Ich habe das Zelt aufgebaut, meine Sachen verstaut, und bin dann gleich losgefahren zum Unterlinden-Museum. Das Museum wird gerade renoviert. Der berühmte Altar ist in einer anderen Kirche ausgestellt. Diese Bildertafeln waren die ersten Kunstwerke, die ich als Kind betrachtet habe, sie im Original zu sehen, war ein großes Erlebnis. Die Art, wie die Gewänder und Tücher gemalt sind, hat mich auf den Gedanken gebracht, dass ihre Farbigkeit und Bewegtheit eigentlich die mystische Bedeutung der Szenen vermitteln. Die Körper mit ihren Gesichtsausdrücken und Gesten sind erzählerische Mittel, die Gewänder sind malerische Mittel.

Dann bin ich durch die Stadt spaziert, habe mir in der Stadtbibliothek eine Ausstellung alter Fotos (um 1900) aus dem Heiligen Land angeschaut und dann auf einer kühlen Steinbank unter einem blühenden Akazienbaum eine lange Rast gehalten.

Abends habe ich am Fluss gesessen, den Kindern zugeschaut, die unermüdlich im Wasser spielen, dann die Fische beim Springen beobachtet, dann die Sterne beim Aufgehen...



6. Tag Colmar - Guebwiller


Große Hitze von 38 Grad waren für diesen Tag vorausgesagt, darum bin ich schon ganz früh aufgestanden und losgefahren.

Aber Oh-weh! Ganz Colmar ist eine Baustelle und Umleitung.

Nach der Himmelsrichtung habe ich mir den Weg gesucht, und endlich auch die Landstraße gefunden.

Aber Oh-wei, auf der Eisenbahnüberführung hört der Radweg auf und als nächstes geht es auf die Autobahn. Ich kehrte um, fand einen Feldweg in südöstlicher Richtung und nach einigen Kilometern durch Ried und Maisfelder stieß ich auf einen Radweg an einem Fluß (Lauch).

Der Fluss ist bald darauf versickert gewesen, nur noch Steine und einige Pfützen im Flussbett, wegen der langen Trockenheit.

Dann ging es auf kleinen Straßen durch die Weinberge und obwohl es lauter Spitzenlagen waren, wie die großen Namen der Domaines verrieten, mir werden die Vignobles zu Maisfeldern, beides Monokultur in Reihen, und überall wird gespritzt.

Mittags bin ich in Guebwiller angekommen, und die Hitze war wirklich „brulant“. Am Ortseingang folgte ich darum gleich als erstes dem Schild „Piscine“, aber, kein Wasser im Schwimmbecken! Nur das kleine Kinderbecken hatte Wasser – eine große Enttäuschung.

So habe ich erst einmal die beiden großen Kirchen des kleinen Städtchens besucht und mich in ihrer Kühle und Dunkelheit erholt.

Den Nachmittag habe ich an der Lauch vertrödelt, im Schatten großer Platanen auf einer Quai-Mauer, es ging Wind, das Wasser gluckert.

Ich trank Tee, rauchte, schlief auch ein bisschen, und dann war es Zeit, zu meiner Gastgeberin hochzugehen. Ihr Haus liegt ganz oben am Hang, nach hinten schaut man auf den Grand Ballon, den höchsten Berg der Vogesen, nach vorn auf die Stadt, die Weinterrassen und auf die Rheinebene.

Sie war wunderbar leger: ich durfte barfuß gehen und gleich duschen, sie verwöhnte mich mit einem kühlen, moussierenden Getränk aus Kefir und Hibiskus.

Dann kamen, ebenfalls auf der Durchreise, ihre Freunde aus Ornans. Gleich kam ein lebhaftes Gespräch in Gang und C. bereitete das Abendessen: Salat mit Bio-Tomaten in allen Formen und Farben, Lasagne „Potager“, Jura-Käse und Wassermelone.

Was für interessante Menschen! C. ist Leiterin einer Arbeits-Integrations-Gruppe Gartenarbeit. Der Freund ist Feuerwehr-Hauptmann und seine Tochter, 18, lernt Hebamme.

Gegen 23 Uhr zog ein Gewitter auf, mit gewaltigen Blitzen oben auf dem Berggipfel und warmen Sturmböen, aber nur wenigen Regentropfen. Ich breitete meine Isomatte auf der Terrasse aus, genoss den Sturm und das Schauspiel der Blitze und schlief, bis die Sonne über der Rheinebene aufging.



7. Tag Guebwiller - Errevet


Der Weg führte jetzt durch die Burgundische Pforte. Thann ist der Endpunkt der „Route des Vignobles“. Am Eingang dieses Städtchen liegt eine alte große Chemiefabrik (Potassium), dann kommt ein hübscher Bauernmarkt  und endlich kommt man zu einem ganz außerordentlichen gotischen Dom. Diese Kirche harmoniert in ihrem kleinen Maßstab vollkommen mit den Maßen des Tals und der kleinen Stadt. Vollkommen sind auch die Figuren, die Glasfenster und der Schmuck innerhalb der Kirche.

Weiter ging´s über die Dörfer ins Land der Fischteiche. In einem bin ich schwimmen gegangen. Dann wurde es Zeit, einen Campingplatz zu finden. Überall herrschte schon Samstag-Abend-Frieden. Vor einem Haus in Errevet sah ich noch Menschen. Ich bat sie um Wasser, wir kamen ins Gespräch und sie luden mich ein, in ihrem Garten zu zelten.

Es wurde ein sehr netter Abend mit dem Ehepaar und seiner erwachsenen Tochter. Wir speisten und redeten beim Schein von Petroleumlampen bis spät in die Nacht. Es ging um Politik (die beiden sind 68er, haben sich als Studenten in Paris kennengelernt) und natürlich ums Reisen. R. erzählte von seiner großen Arktis-Reise mit einem Forschungs-Team.

Bewacht von der neugierigen Katze des Hauses schlief ich im Garten unter einem Baum.



8. Tag Errevet - Bonnal


Bei Sonnenaufgang eine kurze Fahrt über die Hügel nach Ronchamps. Die Landschaft hat sich gewandelt, sie gleicht jetzt einem großen Park. Sie birgt Überraschungen: zuerst in Champagney das „Maison de la Negritude“. Die Erklärung: Schon vor der Revolution haben die Bürger von Champagney an den König appelliert, die Neger-Sklaverei abzuschaffen, und sie bewahren diese Tradition der Rassen-Freundschaft.

Eine andere Überraschung war das alte Bergwerk zu Füßen der Wallfahrtskapelle Notre Dame sur Haut.

Der Aufstieg war sehr steil, aber dann läutete die Glocke und ich ging zur Messe in dieser Kirche, die einer Skulptur gleicht,

Um die Klosterfrauen und die kleine Ortsgemeinde scharte sich eine internationale Gemeinde von Touristen. Ein junges Streicher-Ensemble von Meisterschülern, die an einem Festival dort teilnahmen,begleitete den Gottesdienst. Zum Eingang spielten sie Schubert, (Das traurige Mädchen) während der Communion und zum Ausgang Vivaldi. Sie spielten wundervoll, reagierten aufeinander, wechselten die Melodie-Führung von einer Streichergruppe zur anderen und dann setzten die Tutti wieder ganz präzise ein.

Manche Lieder konnte ich mitsingen auf französisch. Predigt über: Gott beauftragt den Raben, dem Propheten Elia in bei seinem Versteck Brot zu bringen.

Die Kapelle ist vollkommen in ihrer Proportionalität und Akustik. Die Fenster setzen farbige Akzente, sie sind Öffnungen zum Himmel und lassen mystisches Licht einströmen, eine Lichtregie wie in gotischen Kirchen, nur modern. In weißem Glas der Text:

                                                                                     Marie

                                                                          brillante comme

                                                                                 la lumiere

Im Halbrund der Türme liegen die Seitenkapellen, das Licht fällt von oben auf die runden, raugeputzten Wände. Auch alle Details sind modern gestaltet und aussagekräftig, als Beispiel das Prozessionskreuz mit dem überlangen Querbalken und der kleinen, eingebetteten Figur des Gekreuzigten. Dieses Kreuz scheint die Arme weiter auszustrecken, als das alte Dogma erlaubte.

Weiterfahrt bei Regen und Bratenduft; Sonntag-Mittag en France.

Am späten Nachmittag sehe ich einen kleinen netten Campingplatz am Fluss, aber ich wollte noch weiter. Das war ein Fehler! So landete ich dann auf dem scheußlichen Riesencampingplatz von Bonnal, wo es nicht mal Tische und Bänke gibt und stinkende Sanitäranlagen. 24 €!!!

Ich war dann noch schwimmen fast ganz allein bei Nieselregen im warmen See, nachts Regen, morgens alles feucht.



9. Tag Bonnal - Baumes les Dames


Dieser Tag fing schlecht an, in Rougemont hatte ich mir einen Café au lait und in der Tourist-Information gutes Info-Material für den nächsten Reiseabschnitt (Jura) erhofft, aber Café und Touristenbüro sind montags geschlossen. Dann fiel das Fahrrad so unglücklich um, dass der Bremsschlauch undicht wurde und die Bremsflüssigkeit auslief. Nun hieß es, eine Werkstatt zu finden. Der Renault-Mechaniker im nächsten Städtchen konnte es nicht machen, aber er kannte eine Werkstatt in Baumes les Dames, 35 km weiter, rief dort für mich an, und vereinbarte einen Termin für den nächsten Tag.

Nach einem ordentlichen Frühstück am Wegrand bin ich vorsichtig gefahren mit nur einer Bremse, habe mich von Dorf zu Dorf durchgefragt, zweimal sogar bei der gleichen Postzustellerin, und habe dabei doch manches entdeckt: immer in der Geschichte ist ja diese Gegend Durchgangstor gewesen zwischen Nord und Süd, Ost und West. So das Schloss Montmartin, auf dessen Land die einzige Quelle mit trinkbarem Wasser liegt. Seit Römerzeiten bekannt, wurde dieser Ort darum immer erobert und das Schloss zerstört. Heute ist es gerade in der Hand holländischer Besitzer, die mir freundlich den Weg zur Quelle wiesen. Dann, in einem anderen Dorf die Dame mit den vielen Katzen, die, seit vielen Jahren verwitwet, nun alle ihre Liebe in einen prächtigen Blumengarten steckt.

Baumes liegt im Tal der Doubs, die den Jura in drei Windungen tief einschneidet und gliedert, und der ich also auch dreimal begegnen werde. Hier verläuft auch der große Radweg vom Atlantik zum Schwarzen Meer. Im Sportpark in der Nähe des Flusses entdeckte ich eine entzückende kleine Ecke, wo die Organisation Gaia einen öffentlichen Garten und ein „wildes Restaurant“ eingerichtet hat. Zwar, jetzt gerade war es ein wilder Garten und ein geschlossenes Restaurant, aber alles zeugt von liebevollen Ideen. Dort unterm Nussbaum, habe ich mein Zelt aufgeschlagen und eine geruhsame Nacht verbracht.



10. Tag Baumes - Saules


Punkt 9 Uhr war ich beim Fahrrad-Laden Brun und für 35 € wurde das Malheur mit der Bremse behoben. Zugleich bekam ich guten Rat für die weitere Strecke: zuerst den Fluss entlang, wo ich eine schöne Stelle zum schwimmen fand, bei Loissey der Aufstieg, dank zwei Tunneln leichter, als gedacht. Die Sonne brannte, das Land stieg in Wellen an und ich suchte mir einen Rastplatz im Schatten.

Am späten Nachmittag, nach der großen Kreuzung bei Étalans, senkt sich das Land sanft, Kühe auf grünen Weiden, Wäldchen und Baumgruppen und eine echt französische Landstraße, schnurgerade auf und ab. Beim Anstieg nach Saules (kurz vor Ornans) hörte ich Kuhglocken, sah kleine Weiden mit Mäuerchen und Hecken, hier wollte ich bleiben. Zur nächsten Farm bog ich ab, um nach Übernachtung zu fragen.

Das Haus sah ganz modern aus, ich hörte Stimmen und dann kamen zwei kleine nackte Jungen um die Ecke gerannt und sprangen mir in die Arme. Ihre Mutter, eine schöne junge Frau,

bat mich gleich ins Haus, ich bekam kühles Wasser und lernte gleich darauf auch den Jüngsten, 4 Monate , kennen. Er  hat sprechende Augen und greift mit seinen kleinen Händen und Füssen nach meinen Fingern und wird mit Ziegenmilch und selbstgemachtem Gemüsebrei ernährt.

Er ist ein zierliches Baby und seine Brüderchen klettern alle Augenblicke auf den Tisch und küssen und knuddeln ihn.

Dann durfte ich duschen in einem total modernen Bad ohne Türen. Während die junge Mutter das Abendessen bereitete, baute ich im Obstgarten mein Zelt auf und spielte mit den „Großen“ und dem Hund.Wir deckten den Tisch auf der Terrasse und dann kam auch der Papa, ein schöner junger Mann, sanft und liebenswürdig. Zum Essen kletterte mir der kleine N. auf den Schoß, - wie gut sich der kleine kräftige Körper anfühlt.

Die junge Frau ist von den drei Rackern ganz erschlagen, Hausbau, Garten, die Arbeit als Vertreterin für Naturheilmittel, dabei ist sie so von Herzen gastfreundlich. Sie gab mir eine Creme für meinen Sonnenbrand,- hat gut gewirkt.

Dann kamen die Sterne, die Fledermäuse flatterten ums Haus, wir verabschiedeten uns mit Küssen und gute Nacht!



11. Tag Saules - Montgedoye


Der Tag kam ganz klar herauf, ich rollte die lange Abfahrt nach Ornans ins Loue-Tal hinunter. Über dem Fluss lag noch Nebel, in den Häusern wurden die Fensterläden geöffnet und auf der Place Courbet gab es schon einen Café au lait in der Sonne.

Im neu-renovierten Courbet-Museum begegnet man auf den Bildern den einfachen, behaglichen Steinhäusern, die auch Ornans prägen, den weißen Felswänden, die sich wie Mauern oben über dem Tal hinziehen, und die zugleich zarten und kräftigen Gesichtszüge eines Frauenporträts gleichen dem Gesicht der jungen Mutter von gestern. In dieser Gegend begegnet man tatsächlich den Bildern des Malers. Ich spazierte hoch zum Friedhof, ja, hier hat es damals stattgefunden, das Begräbnis in Ornans, sein wohl berühmtestes Bild.

(Ich habe auf meiner Radtour viele Friedhöfe gesehen, denn da konnte ich immer meine Wasserflasche auffüllen. Überall sah ich die Gräber wie Kisten aus poliertem Stein, während bei uns ein Grab einem kleinen Beet ähnelt. Welcher Glaube und Unglaube drückt sich hier aus?)

Auf der Treppe am Fluss, im Schatten der Brücke, die Füße im Wasser, vertrödelte ich die Mittagshitze und lies die Atmosphäre auf mich wirken.

Dank der guten Beratung im Tourist-Office fand ich im Nachbarort Montgedoye einen kleinen Campingplatz direkt am Ufer der Loue. Eine Info-Tafel zeigt, hierher stammen die Forellen zu Courbets schönem Forellen-Gemälde. Ich habe im Fluss gebadet, eine kleine Exkursion durchs Dorf unternommen, mir ein nettes Süppchen gekocht und beim Gesang des Flusses gut geschlafen.



12. Tag Montgedoye - Bugny


Am frühen Morgen war die Straße hinauf zur Quelle der Loue verkehrsarm und gut zu fahren. Sie führte zuerst durch einige nette Dörfer, dann bei Mouthier Haute-Pierre wurde das Tal enger, tiefer eingeschnitten, und die Straße stieg stetig an. Sie bot spektakuläre Aussichten und vermittelte ein leichtes Schwindelgefühl.

Die Quelle der Loue liegt in einem halbrunden Felskessel. Dort tritt sie als fertiger Fluss aus einer Höhle und stürzt sich sogleich über zwei Wasserfälle. Früher wurden hier Mühlen betrieben, heute ziehen Touristen den steilen Weg hinunter zu diesem Naturschauspiel.


Den Weg wieder hinaufschieben war allerdings mühsam, doch auf einmal legte ein junger Mann von hinten die Hand auf den Sattel und half schieben. Er war mit seiner Frau unterwegs, und so, unter nettem Gespräch, waren wir im Nu oben. Ich hatte auch meine Wasserflasche verloren, die Beiden holten ihre Flasche aus dem Auto und schenkten sie mir zum Abschied.


Nun folgte der schreckliche Teil des Tages: Eine junge Dame riet mir, 1,5 km auf der Route National zu fahren und dann auf die kleine Straße nach Bugny abzubiegen. Bei Hitze ging es endlos bergan, Lastwagen donnerten an mir vorbei, von der Gegenspur kamen überholende Wagen gefährlich nah, aber die Abbiegung kam nicht! War ich froh, als nach 5 km endlich eine Kreuzung in Sicht kam! (Damit war der schreckliche Teil zu Ende.)

Die kleine Straße führte nun über die grünen Weiden der Jura-Hochfläche. Langsam, dann aber ganz schnell, zog von Süden eine gewaltige Wolkenmasse heran. Ich sah auf einer Weide eine Kuh mit neugeborenem Kalb. Ich fuhr zu der Farm, sagte dem Bauern Bescheid und fragte, ob ich den Regen unterm Dach seiner Scheune abwarten dürfe. Während der große Regen niederprasselte, kamt die Herde (ca. 100 Kühe) zum Melken herein. Der alte Herr brachte den Betonmischer in die Scheune, der Junge die übrigen Werkzeuge, der Sohn fährt unermüdlich Gülle aus. Hier leisten drei Generationen rund um die Woche täglich 12 Stunden harte Arbeit, wenn nicht mehr.

Der Regen hörte gar nicht wieder auf, so ging ich hinüber in den Melkstand und fragte die alte Dame, ob ich die Nacht in der Scheune auf dem großen Strohballen schlafen dürfe. Sie stimmte gleich zu und gab mir noch eine Flasche frische warme Milch. So gute Milch habe ich schon lange nicht mehr getrunken! Mit den beiden großen Hunden hatte ich mich schon angefreundet, so verbrachte ich eine ruhige Nacht, während der Regen unvermindert weiter prasselte.



13. Tag Bugny - Bonnétage


Als um 6 Uhr die Kühe zum Melken kamen, stand ich auf. Regen! Der alte Herr kam, um den Betonmischer zu holen. Ich fragte ihn, ob er alle Gebäude, die Ställe, die Scheune und drei Wohnhäuser, mit eigener Hand gebaut hätte.

" Ja. Als ich anfing, hatte ich wenig Kapital und habe die Farm gepachtet. Dann sind einmal die Gebäude abgebrannt und ich habe Stück für Stück alles wieder aufgebaut. Ich habe zu viel gemacht jetzt bin ich krank, hier schmerzt es," er legte die Hand auf den Magen," der Arzt hat mir schon letztes Jahr nicht mehr viel Zeit gegeben, aber was soll ich machen?"

Er nahm die Werkzeuge und ging hinaus in den Regen.Dann wendete er sich noch einmal zu mir: „Kommen Sie doch in einer halben Stunde zu uns ins Haus zum Frühstück“.

Madame kam vom Melken, sie begrüßte mich und zeigte mir die Hühner, den großen Gemüsegarten, die Schafe. Bevor wir frühstückten, steckte sie meine feuchten Sachen in den Trockner. Ein einfaches, leckeres Frühstück, nebenbei studiert Monsieur die Zeitung, seine Gesundheit macht auch seiner Frau Sorgen, sie macht beim Arzt einen Termin für ihn. Dann gingen sie an die Arbeit, ich verabschiedete mich streichelte noch einmal die Hunde, es hörte auf zu regnen.

Die Strecke ging sehr hübsch über die Dörfer, die sich für einen Feiertag geschmückt hatten. Einmal glaubte ich Musik zu hören, es klang wie ein Tanzstück, es waren aber Kälber auf der Weide mit gut gestimmte Kuhglocken.

In Montbenoit traf ich auf den junge Doubs, sein „Défilé d´Entre Roches“ ist eine Sehenswürdigkeit. Hier gibt es ein altes Kloster mit einer großen früh-gotischen Kirche. Eine ehrenamtliche Dame schließt mir sehr freundlich auf.

Wenn ich so unterwegs bin, trete ich gern in Kirchen ein. Da kann ich mich hinsetzen und ein bisschen nachdenken. Leise hörte ich den Gesang der Mönche vom Kloster. Ich betrachtete die Holzschnitzereien am Chorgestühl und sah eine ungewöhnliche Skulptur: Eine Johannes-Figur mit dem Buch in der Hand, den Kopf lauschend nach oben gewandt.

Ein Heiliger, der nichts verkündet, sondern lauscht.

In der nächsten größeren Stadt, Morteaux, wieder schwerer Regen . Im Touristen-Büro musste ich erfahren, dass ich nicht weiter am Fluss entlang fahren kann, weil es durch die Schluchten keine Straße und keinen Weg gibt.

Der kleine, verwaiste Musik-Pavillon bot mir ein Dach, um mir einen Kaffee zu kochen und zu überlegen, wie und wohin ich weiter fahre. Der Regen prasselte und wollte gar nicht aufhören, die einzige Strecke, die mir blieb, war eine vielbefahrene Hauptstraße, die auch noch lange bergauf führt.

Aber dann sah ich, es gibt an der Strecke einen Gastgeber! Ich rief an, ja, er war da, ja, ich kann kommen. Also auf nach Bonnétage. Sehr lieber Empfang, J.-M. kam mir auf dem Fahrrad entgegen, damit ich das Haus auch finde.

Es liegt ganz oben am Berg, bei klarem Wetter kann man von hier die hohen Berge der Schweizer Alpen sehen. Aber auch so war es eine tolle Aussicht.

J.-M. ist ein weitgereister Mann, gerade kam er vom Bergsteigen auf dem Aletschgletscher. Ich hörte von seinen Radtouren rund um Osteuropa und den großen Südamerika-Reisen und schaute die Foto-Bücher seiner Begleiterin, einer Fotografin, an. Er kochte uns ein leckeres Abendessen, Reis, Gemüse und Fleisch (das habe ich inzwischen nachgekocht) und dann zeigte er mir noch seine träumerischen Zeichnungen.



14. Tag Bonnétage - Joncherey


Mein Gastgeber ist extra früh aufgestanden, um mit mir Kaffee zu trinken und mich ein Stück auf dem Weg zu begleiten. Er zeigt mir den Weg ins Tal des Dessoubre. Eine herrliche Abfahrt und dann der sanft-wilde Dessoubre in seinem grünen Tal mit den weißen Felsen!

In St.Hippolyte, einem altertümlichen Städtchen, wo der Dessoubre in den Doubs mündet, habe ich auf dem kleinen Markt eingekauft: seltsamen Käse und interessante Tomaten.

Bei Nieselregen ging es dann weiter, den mittleren Doubs entlang. Hier liegt er als sanfter Spiegel wie ein langgezogener See zwischen Waldhängen, heute eine Szenerie ganz in grün, weiß und grau.

(Der Fluss wird alle paar Kilometer aufgestaut zu Energiegewinnung)

Die Ortschaften sind niedlich wie Spielzeug-Dörfer und es ist absolut nichts los.

Ich folge dem Fluss bis in die Schweiz nach St. Urselle. Dort war was los: Berg-Ralley der Rennwagen, Motorengeheul und die Stadt voller Auto-Fans. Ich beschloss, raus aus der Schweiz, zurück nach Frankreich, und zwar mit der Eisenbahn. Das Velo-Ticket kostet genau soviel, wie die Person, aber bei mir irrte sich der Automat und spuckt das Velo-Ticket gratis aus!

Nun war ich also im Sundgau und da gefiel mir gleich die erste Stadt, Delle, sehr gut. Ein altes, schön renoviertes Städtchen an einem kleinen Fluss, dabei international, auch für Radfahrer ist gesorgt, auf dem Platz zeigten mir ein paar nette Jugendliche den Weg zum nahen Campingplatz in Joncherey.



15. Tag Montbeliard


Der Campingplatz in Joncherey ist eine Wucht! Alles ist nett und sauber, es gibt Tische und Bänke, man ist frei und hat seine Ruhe, und für die Zelter gibt es morgens im Büro frischen Kaffee. Die Pächterin, J.-P. Und ihr Hund Sarco sind ganz nach meinem Geschmack.

Nach dem gemütlichen Kaffee machte ich mich auf den Weg nach Montbeliard. Auf dem Weg lockten mich die Glocken in einen lutherischen Gottesdienst. Ausser mir waren fünf Frauen in der Kirche und ein schwarzer Pfarrer. Predigt über,“Dies ist mein Leib, wer davon isst, gelangt zum Vater...“ Sich opfern als gewaltlosen Kampf, im Gegensatz zu Selbstmord-Attentätern.

Dann hatte ich auf der Strecke eine Panne, die Kette war übergesprungen, hatte sich um die Nabe gewickelt, und kam nur mit Gewalt wieder frei. Montbeliard, die Altstadt in rosa und gelb auf grauem Grund. Über Nacht bleibe ich noch auf dem netten Campingplatz.



16. Tag Joncherey - Bizel


Für den Abend habe ich mich in Bizel zum letzten Mal bei Gastgebern angemeldet. Das war nicht weit, so ging ich auf eine Entdeckungs-Tour durch den Sundgau. Ich radelte durch eine hügelige, abwechslungsreiche Landschaft. Das erste Dorf hatte eine alte Eisengießerei und eine Arbeitersiedlung, das nächste ein ehrenamtliches Bauernhaus-Museum, in Froidefontaine besichtigte ich eine mittelalterliche Kirche , dann eine ganz moderne in Suarce.

Dort war im 2. Weltkrieg nicht nur die Kirche zerschossen worden, selbst von den Grabsteinen blieben nur drei übrig.

Nun fuhr ich durch das Tal der Fischteiche. Der Besitzer eines großen Teichs nannte mir Hecht, Wels, Karpfen, Barben und noch mehrere kleine Arten, alle bestimmt für die Fest-Tafel bei Familien-Treffen. Zuletzt bot eine Pappelallee einen großartigen Ausblick auf die Bergkette der Vogesen.

Von meinen Gastgebern wurde ich herzlich empfangen und geradezu luxuriös untergebracht. Mein feuchter Schlafsack wurde getrocknet,

J.-P. sah fachmännisch nach meiner Gangschaltung.

Als ich von meiner Reise erzählte, und dass ich in Bonnétage gewesen sei, staunten wir nicht schlecht, denn die beiden sind gut befreundet mit J.-M., meinem vorherigen Gastgeber.

Ch. Ist eine Spitzen-Köchin. Als Abendessen servierte sie zarten Salat aus dem Garten, eine Pastete aus selbstgemachtem Blätterteig und zum Nachtisch karamellisierte Aprikosen-Torte.

Das Gespräch kam auf den ersten Weltkrieg, vier Jahre lang war die Front im Nachbardorf Sept le Haut verlaufen und in Bizel wurden fast alle Häuser und die Kirche zerschossen.

Mir wurde dabei klar, wie tragisch die Weltkriege im Elsass waren, wo deutsche und französische Einwohner so eng zusammenlebten und eine eigene Kultur aus beiden Nationalitäten besitzen.



17. und letzter Tag Bizel - Basel


Aus dem Internet hatte mir mein Gastgeber eine schöne Strecke herausgesucht.

Gleich die erste Station, die Klosterkirche in Feldkirch, machte mich sprachlos.

Von außen schlicht, tritt man ins Dunkle des Kirchenschiffs und ist überwältigt von dem rein mittelalterlichen Raum: stumme Wände, Rhythmus der Bögen, wenig Schmuck.

Im Seitenschiff waren zwölf hochformatige Bilder von Brigitte Bourdon ausgestellt, Teil des „Chemin d´Art Sacré“. Im Halbdunkel glaubt man, auf den reliefartigen, monochromen Bildern Figuren zu erkennen. Als ich wieder ans Licht trat, hatte ich das Gefühl, aus tiefster Vergangenheit aufzutauchen.

Weiter ging es über Berg und Tal, in den Tälern durch schöne Dörfer, auf den Höhen weite Aussichten auf die Berge. Um den Gipfel des Grand Ballon versammelten sich die Wolken, als wollten sie über ihr weiteres Vorgehen beraten.

In Basel war ich auf den Campingplatz in Hunigue, dem französischen Stadtteil, direkt am Rhein.

Von dort ging es über die Radfahrerbrücke „Passerelle des trois pays“ nach Deutschland, dann in die Schweiz und auf dem Radweg durchs Wiesenbachtal nach Riehen zur „Stiftung Beyeler“, einer Schatzkammer der klassischen Moderne.

25,-€ Eintritt, aber ein ungeahnt edles Ambiente für große Formate großer Maler:

das ganze Foyer für einen großen Rousseau,  ein Riesenraum mit Glaswand zum Park für drei große Giacometti-Skulpturen, ein Saal für Klee, eine Halle für Picasso ...

Dazu eine Ausstellung von Marlene Dumas, ihre Porträits sind „haunting“.

Basel, die Dreiländer-Stadt mit zwei Währungen, zwei Bahnhöfen und vielen Zollstationen fand ich „tres compliqué“.

Auf dem Campingplatz habe ich mit einem jungen Paar aus der Bretagne nett diniert, nachts sanfter Regen.